Mittwoch, 4. März 2015

Ungleichheit als Gefahr für Demokratie, Teilhabe und Stabilität





“Unten” betrifft alle:
Ungleichheit als Gefahr für Demokratie, Teilhabe und Stabilität 
Warum Ungleichheitsdebatten zentral davon abhängen, mit welchem Maß was genau gemessen wird, zeigen Till van Treeck und Julian Bank. 

Anfang März erschien ein Beitrag von Till van Treeck (https://www.uni-due.de/soziologie/treeck.php) und mir in der Zeitschrift “Aus Politik und Zeitgeschichte” (APuZ) über ökonomische Ungleichheit und Krisenphänomene. Der Beitrag kann bereits jetzt Online gelesen (http://www.bpb.de/apuz/201654/ungleichheit-als-gefahr-fuer-demokratie-teilhabe-und-stabilitaet) oder als PDF heruntergeladen (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2015-10_online.pdf) werden.
In dem Beitrag diskutieren wir, warum Ungleichheitsdebatten zentral davon abhängen, mit welchem Maß was genau gemessen wird. Eine viel kritisierte Studie (http://verteilungsfrage.org/2014/07/wer-hat-hier-verzerrte-umverteilungspraeferenzen/des wirtschaftsfinanzierten IW Köln etwa vermischte auf fragwürdige Weise verschiedene Dimensionen der Ungleichheit, mit dem Ergebnis, dass in Deutschland angeblich die Einkommensungleichheit überschätzt würde. Obwohl andere Forschung Gegenteiliges nahelegt, wurde dies gleich vom Sachverständigenrat aufgegriffen, der in seinem Jahresgutachten “keinen (…) Handlungsbedarf” (!) bei Verteilungsfragen sieht.
Wir zeigen auf, warum dieser Schluss aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar ist. Wir arbeiten drei Dimensionen heraus, in denen ökonomische Ungleichheit gesellschaftlich relevant ist. Erstens hinsichtlich der unmittelbaren Verteilung von Freiheit. Zweitens, aufgrund der Statusdimension von Ungleichheit – bei der die “positionale” Dimension von Gütern aufscheint: So hängt die individuelle Zufriedenheit häufig mit der Ausstattung des sozialen Umfelds zusammen. Diese Dimension rückt viele vermeintliche Grundeinsichten der Wohlfahrtsökonomik in ein völlig neues Licht. Und drittens kann sich ökonomische Ungleichheit in politische Ungleichheit übersetzen – ein zentrales Demokratieproblem. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir die Frage nach dem “Unten” einer Gesellschaft und der makroökonomischen Bedeutung von Ungleichheit.
In dem Beitrag kommen wir zu dem Schluss, dass die wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen gleich mit drei Krisen verwoben ist, die nicht getrennt voneinander betrachtet werden können: eine Krise der Demokratie, der sozialen Teilhabe und der ökonomischen Stabilität. Aus unserer Sicht ist dies eine gefährliche Melange mit Sprengkraft, vor deren Hintergrund etwa der wachsende Erfolg demokratie- und menschenverachtender Ideologien mit Sorge betrachtet werden sollte.

3 Kommentare:

  1. Unterklassen.
    Plädoyer für die analytische Verwendung eines zwiespältigen Begriffs

    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Diskussion über soziale Ungleichheiten in Bewegung geraten.
    Gegenwärtig leben 70 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, in denen die Unterschiede zwischen Arm und Reich während der zurückliegenden drei Jahrzehnte zugenommen haben.
    2014 verfügten die 80 reichsten Personen über das gleiche Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit (etwa 3,5 Milliarden Menschen).
    (Oxfam (Hrsg.), Besser gleich. Die wachsende Lücke zwischen Arm und Reich – ein Kernproblem des 21. Jahrhunderts, o. O. 2015.)

    Einer dramatischen Konzentration von Vermögen innerhalb des obersten einen Prozents der Weltbevölkerung stehen expandierende Gruppen gegenüber, die wirtschaftlich
    scheinbar „überflüssig“ sind. Während sich die – zwar expandierende, nichtsdestotrotz winzige – Gruppe superreicher Vermögensbesitzer nach oben „exkludiert“, fallen selbst in manchen Wohlfahrtsstaaten 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung aus geschützter Erwerbsarbeit und kollektiven Sicherungssystemen heraus.

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  2. Wahrnehmung sozialer Ausgrenzung
    Petra Böhnke

    Die Frage nach der Aufrechterhaltung gesellschaftlichen Zusammenhalts gehört zum Kern soziologischer Gegenwartsdiagnosen: Armut hat sich trotz gestiegener Erwerbsquoten nicht verringert,
    (www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Einkommen-KonsumLebensbedingungen/Lebensbedingungen-Armutsgefaehrdung/Tabellen/EUArmutsschwelle-Gefaehrdung_SILC.html)

    und die steigende Anzahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse bringt Verunsicherung mit sich, sowohl materiell als auch für eine langfristige Lebensplanung (Robert Castel/Klaus Dörre (Hrsg.), Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt).

    Konsumchancen von Arbeitslosen verschlechtern sich; die Vermögenskonzentration hingegen hat sich intensiviert. (Markus M. Grabka/Christian Westermeier, Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland)

    Das Risiko, dauerhaft in einer von Armut gekennzeichneten Lebenslage zu verbleiben, ist nach wie vor groß und wird bis in die nächste Generation hineingetragen (Petra Böhnke/Boris Heizmann, Die intergenerationale Weitergabe von Armut bei MigrantInnen zweiter Generation, in: Hildegard Weiss et al. (Hrsg.), Zwischen den Generationen).

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  3. „Unten“ betrifft alle: Ungleichheit als Gefahr für Demokratie, Teilhabe und Stabilität
    Julian Bank · Till van Treeck

    Ungleichheit ist das neue Megathema sowohl in der politischen als auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachdebatte.
    Während in der Politik zunehmend der Zusammenhang zwischen steigender ökonomischer Ungleichheit und gesellschaftlichen Desintegrationstendenzen diskutiert wird, entdecken auch die Wirtschaftswissenschaften die Ungleichheit als zentrales Forschungsthema wieder.

    Der internationale Bestseller von Thomas Piketty „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ wirkte in dieser Hinsicht wie ein Paukenschlag. Piketty beschreibt zum einen den Anstieg der ökonomischen Ungleichheit während der vergangenen Jahrzehnte in den reichen Volkswirtschaften.
    Zum anderen untersucht er, unter welchen Voraussetzungen die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen steigt, und empfiehlt weitgehende politische Maßnahmen, um einen weiteren Anstieg der Ungleichheit zu vermeiden.
    (Till van Treeck, Zur Bedeutung von r > g in Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“, in: Peter
    Bofinger et al. (Hrsg.), Thomas Piketty und die Verteilungsfrage.)

    Zugleich mehren sich Analysen anderer international renommierter Ökonomen, die einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Ungleichheit und den weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 2007 feststellen.
    (Till van Treeck, Globale Ungleichgewichte im Außenhandel und der deutsche Exportüberschuss, in: APuZ, (2013) 1–3, S. 22–27.)

    Julian Bank
    Volkswirt (M.Sc. Economics), geb. 1986; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen, Herausgeber des Blogs www.verteilungsfrage.org; Universität Duisburg-Essen, Institut für Soziologie, Universitätsstraße 12, 45117 Essen.
    julian.bank@uni-due.de

    Till van Treeck
    Dr. rer. pol., geb. 1980; Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen (s. o.);
    Research Fellow am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.
    till.vantreeck@uni-due.de

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